Leseprobe

Die alte Allee

Eine lange, breite Straße, zu beiden Seiten gesäumt von Linden, Platanen und Eichen. Die alte Allee – Hauptader des Kulturwohnviertels, die vierspurige Straße kreuzend, die den inneren Stadtring, voller Verkehr, ausmacht.

Obwohl viel befahren, geht von ihr eine Atmosphäre der Gelassenheit, des Durchatmens aus. Das liegt daran, dass sie in ihrer Mitte, zwischen den Fahrbahnen und äußeren Fußwegen, auf ganzer Länge von einem breiten Grünstreifen mit Pflasterpromenade, Bäumen und Bänken durchzogen ist.
Hier spazieren Menschen allein, zu mehreren, mit Hunden, oder sie lassen sich für eine Zeitlang auf den Sitzgelegenheiten nieder. Weniger um Ruhe zu finden, was kaum möglich ist angesichts der Fülle an Autos, Bussen, Rädern, schon eher, um für einen Augenblick das Flair dieses städtischen Viertels in sich aufzunehmen. Gepflegte Bürgerhäuser und Stadtvillen zu beiden Seiten der Allee verbinden sich mit den dort stehenden Bäumen und den Aktivitäten rings umher zu einem Eindruck von „Stadt“, „Großstadt“. Da stören auch die Verkehrsgeräusche nicht, sie passen wesentlich dazu, das pralle städtische Leben gewissermaßen.

An ihrem östlichen Ende geht die Allee in eine quer zu ihr liegende Kopfsteinpflasterstraße über, an die ein großzügig angelegter Spielplatz für Kinder grenzt. Klettergerüste aller Art, kleine Seilbahnen, die obligatorischen Sandinseln, Rutschen, Wippen – es ist alles da, was die aufs Spiel versessenen, abenteuerlustigen Kinderscharen sich wünschen mögen. Eskortiert von behütenden Müttern, Vätern, Betreuerinnen und größeren Geschwistern leben sie ihre Wünsche aus und klettern, springen, laufen, hüpfen, rutschen, lachen, klagen, jammern, begeistern sich, was das Zeug hält. Umgeben von Buchen, Kastanien, flachen, dann stärker ansteigenden grünen Wiesen, gipfelnd in einem Hügel mit Sicht auf die Stadt.

Der Nachhauseweg führt so manchen an der sommerlichen alten Allee entlang, unter den gereihten Bäumen, zwischen den Spaziergängern hindurch, bis in die eigene Straße abgebogen wird – in die Ruhe des Heims, der Wohnung, die Bilder des Erlebten vom Spielplatz in Kopf und Herz. So schnell wird sich die innere Ruhe nicht einstellen. Erst dann, wenn die Helden vom Spielplatz in ihren Betten liegen, ein Nachtlicht brennt, den Gutenachtkuss der vorlesenden Eltern auf ihrer Wange. Und auf den Abendwind lauschen, der an ihren Fenstern von der alten Allee herüberweht, die Gardinen bauscht.