Texte

Strandkorb 634

Sich verkriechen bei Wind und Wetter.
Sicht gen Osten, in den vergangenen
Morgen, den aufkommenden Abend,
local time 6:34 p.m.

Pünktlich eingetroffen, stets um diese Zeit.
Der Einsamkeit begegnen, sie teilen,
vertreiben – darauf verstehen wir uns,
wir zwei.

Eines Tages wird er fort sein.
Oder ich.
Was dann?

in meiner welt benannt

ein stuhl, ein tisch, darauf ein becher,
hier lass ich mich nieder,
am rande des platzes,
betrachte das treiben

familienkarawanen ziehen vorüber,
kinder tollen herum, fröhlich und ungestüm,
andere sitzen, so wie ich, auf stühlen oder
lagern auf bänken, unterhalten sich

ein bus fährt heran, menschen, ausgespuckt,
eilen davon, zwei von ihnen führen Kopfhörer spazieren,
silberfarben, in ihren blauen chucks scheinen sie übers Pflaster
zu schweben, seltsam abgekehrt, in wolken aus klang und ton

ich blicke ihnen nach, wie ihr Schwebezustand
sie davontreibt, ihr bild prägt sich mir ein,
stets und überall, erkennen würde ich sie,
hervorgetreten aus der zahllosigkeit der anderen

wie man sie ruft, das weiß ich nicht,
doch in meiner welt sind sie benannt
im bild, einzigartig, unverwechselbar

bilder können wie namen sein

Lebenszeit

Geboren.
Von nun an gilt’s, die Lebensuhr,
sie tickt.
Kindheit, Jugend, Erwachsensein,
schier endlos die Zahl an Stunden, Tagen,
fluide Summation der Zeit.

Eines Tages,
jäh,
ist er da, der Gedanke an das Ende der Perlenschnur,
Lebenszeit, unabänderlich knappes Gut.
Suche nach Sinn, gegen Verzagtheit und
Verwirrung Wechsel der Perspektive.

Die Eintagsfliege, vierzig Minuten,
ein paar Stunden zwecks Vermehrung nach dem Schlupf,
und sie stirbt ab.
Das Rotkehlchen, sangesfreudig,
zwei bis drei Jahre, manchmal etwas mehr.
Dagegen der Grönlandwal, zweihundert, und
der Grönlandhai, vierhundert.
Aber erst der Riesenschwamm,
auf antarktischem Meeresboden wachsend,
zehntausend Jahre ein Exemplar,
oder turritopsis dohrnii, eine Qualle im Mittelmeer,
unsterblich, mittels Zellverjüngung.

Also – die Eintagsfliege möcht ich nicht sein,
das Leben so kurz, rein arterhaltend,
das Rotkehlchen, der fröhliche Sänger,
verlockend schon, aber mein Gesang und im Winter
ohne Ofen, ach, lieber nicht,
Hunderte von Jahren bei Wal und Hai,
zehntausend gar beim Schwamm,
als Kost freilich Meeresgefleuch,
Plankton und Bakterien,
oder quallig-unsterblich vor Italien, Mallorca,
doch allzeit im Wasser,
nicht an Mediterraniens Land.

Nichts davon
scheint mir meines Lebens wert,
sei es wie es sei.
Gern vorlieb nehm ich da mit dem,
was ich bin, will, kann,
was zu ertragen, zu ändern ich vermag.

Wenn das nun alles ist,
ja, ich hör,
warum dann das Gedicht?
Das Leben spendierte mir
die Zeit dafür.
Ich find, so wenig ist das nicht.

Augäpfel und Raumkapseln

Honiggelbe Augäpfel, dunkle
Pupille zentral, von lila Linsen
eskortiert, schweben als Formation,
surreale Szenerie
im Labor des Weltenschöpfers

Sofern der geneigte Leser
linkskippend sich wie ein solcher verhält
erkennt er hängend Lampen –
ach, das ist’s

Doch das, was ist, erscheint
als Ergebnis einer Perspektive.
Andere Perspektiven
neue Welten

Dann ziehen also doch
Raumkapseln
fremder Wesen durch ferne Galaxien,
oder sind sie es gar selbst?

Familienausflug

Drei Boote
in ruhigem Fahrwasser
hintereinander,
Wasserspiegel eben und glatt.

Wie ein Familienausflug
halten sich, an den Seilen gefasst,
das Kind, voran, Mutter, Vater, hinterdrein,
Kernfamilie, Sonntag nachmittag.

Ein nostalgisch verklärtes Bild –
jeder weiß es.
Wie war das mit dem sonntäglich
missmutig hinterherzottelnden Kind?

Was ist mit der Großfamilie,
Patchwork-, Regenbogen-,
Einelternfamilie, der Pflegefamilie,
dem Kibbuz und der Kommune?

Differenzen, ja.
Doch gilt, was das Bootsbild
zeigt – Zusammenhalt, Verbindung, Harmonie,
unverzichtbar im Fluss gemeinsamen Lebens.

Und es wirft Fragen auf.

Szenen

Ins Blau

Fetzen von Musik, Worten, Gelächter mäandern umher.
Menschen, kleine, große, junge, alte,
bunt gemischt auf dem Jahrmarktsplatz
in Trubel und Taumel.

Die zwei bewegen sich voller Schwung im Einklang,
vor geht es und zurück, hinauf und hinunter.
Haare flattern im Wind, es rauscht in den Ohren.

Erst denkt man noch, man fiele.
Dann gilt nichts mehr, es ist wie ein Sog.
Einfach schwingen, lachen, weit weg von allem sein.

Und jetzt heben sie ab – fliegen,
so leicht, federleicht.
Hinauf ins Blau, höher und höher,
ein Punkt, der rasend, schwindend sich entfernt.

Ein Hauch nur, eine Ahnung.
Kaum mehr als nichts.
Im Blau.
Das Blau.

Warten

Er sitzt gerade auf dem Stuhl, dicht an dessen Kante,
die Gitarre auf den Boden gesetzt,
ruht der Hals in seiner rechten Hand,
die Augen nach vorn gerichtet,
der Blick nach innen gekehrt.

Er wartet.
Wie beinahe jeden Abend im Jahr.
Das Unbefangene einfangen –
damit auch heute gelingt, was unabdingbar ist,
damit sich das Konzert in Musik verwandelt.

Ein heller Gongschlag,
er erhebt sich und geht hinaus.

Frost

Am Morgen
waren die Fensterscheiben
übergefroren

Draußen lag Schnee
weiß und grell
darin eingezeichnet Spuren
von Vögeln und anderem Getier

Die Kälte
raubt einem den Atem
Stapfen durch den Schnee
es fällt schwer mit der Zeit

Die Zeit
sie verliert sich
Minute um Minute
Sekunde für Sekunde

Kein Halt
kein Kompass
keine Richtung

Allein mit sich
dem frostigen Hauch –
Lockruf der Ewigkeit