Möve

Eine Sturmmöwe
hoch oben über uns,
Rabe des Meeres,
Pirat der Lüfte

Wagt sie die große Reise
über sturmgepeitschte See
nach Sansibar, Kap Hoorn,
Tahiti, Haifa, Finkenwerder Kutterhafen

Gelingt`s ihr loszulassen, der Sprung
ins kühne Abenteuer, Sieg über
Zweifel, Ängste, Widerstände,
und sei es ein einziges, einzigartiges Mal

Oder wählt sie das Los des Kulturfolgers,
die Brosamen zivilisierter Bequemlichkeit,
des hadernden, melancholischen Träumers –
wie bekannt einem dies doch ist

oder nicht?

Sprecher: Götz van Ooyen

Ronnie, das Karussellpferd

Na Ron,
ich seh’s in deinen Augen,
wie wär’s
mit einem kleinen Ausritt

Ansatzlos gestreckter Galopp furios,
entfesselt
fort, nur fort, weit
weit fort

Kein Blick zurück
auf die ringelstechende Haftanstalt,
Drehort grell maskierter Pein,
immerwährend kreiselnder Fron

Lauf. Lauf um dein Leben.
Stürme die Freiheit

Sprecher: Götz van Ooyen

Way out

Ein Schild, handgefertigt,
unmissverständlich weist es den Weg,
zum Ausgang dort entlang

Wenn das sonst auch so einfach wär,
bei Unsicherheit, Bedrängnis und Not
Weg-Weisung, eindeutig und klar,
Ängste, Sorgen, Gefahren
für immer gebannt

Wäre es den Preis wert –
geborgen im Netz der Unfreiheit

Kein Way out,
den gäbe es nicht

Sprecher: Götz van Ooyen

Letzte Station

So stehen sie da,
der Gepäckkarren ihre Bleibe,
gepackt, gestapelt, Koffer voller Leben,
so vieles erlebt, erlitten, erfahren

Rings umher
Reisende, angespannt,
Gewirr an Stimmen, wechselnder Züge,
Ankunft Abfahrt Zwischenstopp

Nachts, Stille,
Gleise im Schimmer der Lampen,
Erinnerungen werden wach, Sehnsucht nach der Ferne,
die Ahnung, dass nicht geschieht, was doch kommen soll

So stehen sie da,
die Gewissheit wächst,
letzte Station

Sprecher: Götz van Ooyen

Das Fenster rechts

Wohnsilo im gelbbraunen Abendlicht
die vorletzte Etage, Fenster rechts,
Gardine etwas aufgezogen,
vor der ein großer Vogel streift,
dort lebt sie seit Jahren schon

Immerwährendes Tagein Tagaus
das Gleiche ist dasselbe, dasselbe
ist das Gleiche, nichts ist jemals anders,
die Mauern so hoch, erdrückend
die Wände

Der Käfig
kein Anruf, kein Gespräch
man sieht sie nicht,
unbemerkt unerkannt
hinterlässt sie keine Spur

Eines frühen Abends
durchbricht sie das Fenster
springt, stürzt
mit erhobenen Armen
auf den kreisenden Vogel zu

Der Zeitung war es eine Nachricht wert.

Sprecher: Götz van Ooyen

Wohin

Rauf oder runter,
die gewendelten Stufen
im Turm.
Aufwärts, zum Licht,
hinab, ins Dunkel

Zur Spitze,
furchtlos, schwindelfrei.
In die Tiefe,
achtsam, erdverhaftet.
Sturzgefahr
in beiden Richtungen

Der letzte Weg führt
abwärts nach oben

außer sich

Sprecher: Götz van Ooyen