Das Fenster rechts

Im gelbbraunen Abendlicht
die vorletzte Etage,
das Fenster rechts, Gardine etwas aufgezogen,
dort lebt sie
seit Jahren schon

Immerwährendes Tagein Tagaus
das Gleiche ist dasselbe, dasselbe
ist das Gleiche, nichts ist jemals anders
die Mauern so nah, so dicht
die Wände

Im Käfig
kein Anruf kein Gespräch
man sieht sie nicht
unbemerkt unerkannt
hinterlässt sie keine Spur

Eines frühen Abends
durchbricht sie das Fenster
springt, fällt
mit erhobenen Armen
dem kreisenden Vogel entgegen

Der Zeitung war es eine Nachricht wert.

Strandkorb 634

Sich verkriechen bei Wind und Wetter.
Blick gen Osten, in den vergangenen
Morgen, den aufkommenden Abend,
local time 6:34 p.m.

Pünktlich eingetroffen, stets um diese Zeit.
Der Einsamkeit begegnen, sie teilen,
vertreiben – darauf verstehen wir uns,
wir zwei.

Eines Tages wird er fort sein.
Oder ich.
Was dann?

(Foto: Jan Behrens)

Margaritenblum

Wimmelbild.
Margaritenblum, dicht an dicht,
eine Perle, margarita, in sich bergend.

Sozial ist sie, tritt nur in Gemeinschaft auf,
lindernd, heilsam soll sie sein,
so wird erzählt.

Schicksal spielt sie in der Liebe – effeuiller la Marguerite:
elle m’aime, un peu, pas du tout.
Herzschlag auf Herzschlag ihrer Blütenblätter beraubt,
sinkt sie dahin, vergeht.

Ach, hätt‘ doch jemand eine Margerite für mich,
dies herzgewinnende Geschöpf.
Hegen und pflegen, umsorgen würd‘ ich sie,
ihr einen Namen geben, mit ihr sprechen, leben
bis ans Ende meiner Tage.

Familienausflug


Drei Boote
in ruhigem Fahrwasser,
Wasserspiegel eben und glatt.

Wie ein Familienausflug
halten sich, an den Seilen gefasst,
das Kind, voran, Mutter, Vater, hinterdrein,
Kernfamilie, Sonntag nachmittag.

Ein nostalgisch verklärtes Bild –
jeder weiß es.
Wie war das mit dem sonntäglich
mißmutig hinterherzottelnden Kind?

Was ist mit der Großfamilie,
Patchwork-, Regenbogen-,
Einelternfamilie, der Pflegefamilie,
dem Kibbuz und der Kommune?

Differenzen, ja.
Doch gilt, was das Bootsbild
zeigt – Zusammenhalt, Verbindung, Harmonie,
unverzichtbar im Fluss gemeinsamen Lebens.

Und es wirft Fragen auf.

Der Zaun

Ein Staketenzaun.
Schutz, Abgrenzung, Hindernis.
Ort beiläufiger Gespräche,
längeren Verweilens, des Blicks hinüber.

Verbund knorriger Individuen.
Was mögen sie alles gesehen haben
oder gehört.

Unter ihnen das Erdreich –
bohrendes Gewürm, Fäulnis und das Morbide.
Dort, wo wir alle enden werden
eines fernen Tages.

Doch noch betört
der Duft blühender Kastanien,
der Nachgeschmack süßen Weines.