Der Zaun

Ein Staketenzaun.
Schutz, Abgrenzung, Hindernis.
Ort beiläufiger Gespräche,
längeren Verweilens, verstohlener Blick
hinüber

Verbund knorriger Individuen,
aneinandergereihter runzeliger Latten,
was alles mögen sie gesehen haben
oder gehört

Unter ihnen das Erdreich,
bohrendes Gewürm, Fäulnis
und das Morbide,
dort, wo wir alle enden werden,
früher oder später

Doch noch betört
der Duft blühender Kastanien,
der Nachgeschmack
lieblichen Weines

Sprecher: Götz van Ooyen

Himmelwärts

Himmelwärts die Augen,
dem Gebäude starr entgegen,
vornübergebeugt, mustert es
das, was unten ist,
so scheint es und so ist es

Der point de vue verliert sich
im Ungewissen des Geschehens,
von Ahnungen und Fragen,
beklemmenden Gedanken,
die abzuschütteln das Beste wäre

Warum breitet sie sich aus,
die düstere Szene, nimmt uns
in Besitz, unweigerlich?
Schöner, leichter wäre es ohne sie,
ehrlich aber nicht

Sprecher: Götz van Ooyen

Die schmale Enge

Da
geht’s durch
die Enge
zurück
gibt es nicht
bedrückend
die Angst
schnürt Atem ab
ein Fuß nach
dem anderen
Schritt
für Schritt
keine Aussicht
heißt nicht
aussichtslos
Halt durch
Glaube
ans Licht
an Dich

Sprecher: Götz van Ooyen

Bittersüßer Nachtschatten


Wortklang, Nachhall,
Traumgespinst

Gedanken spielen, schweben
ein, nicht recht zu greifen,
gefangen nehmen sie,
reizen die Phantasie,
in mir, in dir

Bittersüßer Nachtschatten,
voller Ambivalenz,
grazile Anmut und der Todesstoß,
lindernde Arznei, schleichendes Gift,
Flügel der Liebe, Sturz in den Schmerz

o Romeo and Julietbittersweet,
Drama der Schattennacht

Sprecher: Götz van Ooyen

Schwarze Holunderbeere

Dort, wo sie ihre Heimstätte wählt,
soll sie am besten gedeihen.
Überlass ihr den Platz, gewähr Asyl,
dein Schaden wird’s nicht sein

Schweres Aroma
voller Süßlakritz,
gute Geister, flüsternd im Gezweige,
heilt er, der Holler

Sambucus nigra,
Hort der Magie, Tor zum Jenseits,
verdorrend den Tod verkündet er,
Teufelszeug, der schwarze Holunder

Nah beieinander Segen
und Fluch, widerstreitend
in Beeren, Blatt und Blüte,
Überlieferung, Glaube, Erkenntnis

Sprecher: Götz van Ooyen

Gebrochene Rechte, zerbrochene Kinder

Jedes Kind
hat ein angeborenes Recht
auf Leben, sagt die UN.
Jede Stunde
stirbt eine Schulklasse
in Afrika durch Gewalt.

Eines jeden Kindes
Überleben und Entwicklung werden
größtmöglich gewährleistet, sagt die UN.
Jedes fünfte Kind
auf diesem Planeten lebt mit
Krieg oder bewaffneten Konflikten.

Das gebrochene Recht auf Leben dieses Kindes,
Tod, Verletzung, Unterdrückung,
statt Gesundheit, Fürsorge, Freiheit –
roh toben sich Ungeist Unbarmherzigkeit
Unmenschlichkeit aus.

Weißt du, warum
das so ist,
was zu tun wäre?
Sag nicht, es sei zu kompliziert –
das ist es nicht.

Sprecher: Götz van Ooyen

Utopie

Kids eat for free.
Everyday all day.
Hinweis, Restaurant, London 2015

Angenommen
dieser Traum wäre
Realität
überall
weltweit
jederzeit

fact news
würden zu
fake news –

alle 10 Sekunden etwa
verhungert ein Kind,
über 800 Millionen
Menschen sind unterernährt

Terre des Hommes

Wann!

Sprecher: Götz van Ooyen

Friede

Schottland, Urquhart Castle,
in Ruinen

Verhallende Echos dringen an mein Ohr –
hör das Geklirr der Waffen streitender Kämpfer,
Stampfen der Rosse, Schreie der Wut,
der Anstrengung und des Sterbens

Spielball der Mächte – die Burg wie die Menschen dereinst

Heute besänftigt das Idyll grün geschwungener Hügel,
verlassen zwar, doch frei von Unheil und Tod.
Gedenke des einen, einzigen Lebens,
das wir, das alle haben

Ach, Friede –
verliebe den Krieg in dich

(Foto: Detlev Hoffmann)

Sprecher: Götz van Ooyen

Margaritenblum

Wimmelbild.
Auf der Wiese dicht an dicht,
weißgelbgrün,
eine Perle, margarita, in sich bergend,
tritt sie in Gemeinschaft auf

Lindernd, heilsam
soll sie sein, so wird erzählt,
Schicksal spielt sie in der Liebe

Effeuiller la Marguerite:
elle m’aime, un peu, pas du tout,
Herzschlag auf Herzschlag
ihrer Blütenblätter beraubt,
sinkt sie dahin, vergeht

Ach, hätt‘ doch jemand
eine Margerite für mich,
dies liebenswerte Geschöpf,

hegen, pflegen, umsorgen
würd‘ ich sie, ihr einen Namen geben,
mit ihr sprechen,
leben
bis ans Ende meiner Tage

Sprecher: Götz van Ooyen

Blätter

Wie einfach die Natur dies löst,
abgestorbene Blätter
mitten unter den lebenden,
Grün und Braun ein Ganzes,
unterm Baum miteinander vermengt

Eines Tages verweht sie der Wind

Irgendwann muss man loslassen

Sprecher: Götz van Ooyen