Alter Ego, Zwiegespräch

Im Zwiegespräch
die beiden,
eingetaucht ins gluthelle
Leuchten

Den eignen Schatten
als Alter Ego nehmen,
als Dunkles seiner selbst,
der einem zuhört und zuspricht

Nicht irriges Trugbild,
sondern Teil wahren Scheins,
Bote der hintergründigen Welt
in dir, in mir

Lebenslauf

I         Umhüllt

Geplant ungeplant
unentrinnbar Schlusspunkt
eines Geschehens
von anderen gesetzt
obzwar sich erfindend
eingerollt umhüllt eins
in Wärme geschmiegt
pulsiert wie schwerelos getragen
gedeihe lauschend

II        Staunen

Licht Mutter Vater
Dunkel Schlafen Feen der Wind
Aufwachen Rascheln Wispern
Hunger gestillt, Geborgenheit
Kreise größer ziehen erobern
Sommer zirpend warm im Duft
Blätter wehen lagern angehäuft
Schnee knuspert wässert auf der Zunge
honigleuchtende Kerzenflammen abends

III       Freunde

Kinder, viele, beschnuppern
befreunden sich in Straßen
Gärten anderswo miteinander
streitend vergebend begreifen
Einschnitt Schule
einfügen abarbeiten mit Lust
oder ohne sie, sträubend sich gebärden
Ferien als endlose Weite doch
unerbittlich gekappt wie stets zuvor

IV       Aufbruch

Ausmalen des Wünschbaren
gar Ersehnten, kühn oder bescheiden
unverwechselbar Ich sein
die wunderbaren Jahre des
Berührtseins, widerständig
eingewurzelte Ambitionen
gefährdet zu verkümmern
der Aufbruch unweigerlich
vorläufig oder endbestimmt

V        Wege

Reifen Gehen Meistern
Ambition erstarkt betäubt
Scheitern Wiederaufstehen
Scheidewege glückliche Wende
Liebe Trubel Euphorie
Lachen glücklich erschöpft
sich zusammentun gründen
aufbauen, auch allein
möglichst der Boden nicht entzogen

VI       Erwarten

Verbliebene Jahre Dekaden
erhofft und – verstört Setzen
auf hinlängliche Spieldauer,
der Schlussakt, das was aufgehoben
doch anders ein letztes Mal
erblüht Lebensfreude
trotzt dem Drohen blitztünchenden
Verfalls von Ausdruck Gedanken
im erkaltenden Nebel

VII      Freigegeben

Das Einst mäandert im trägen Dämmer
die Eltern eine Frau ein Mann wandeln
sich verschwimmen entschwinden
treibend in Musik schnell noch schneller
ich entkomme nicht bin gefangen –
abrupt heller Gleißmond im graugrünen
Intransparent abgleitend gezogen
ins Kaleidoskop verspiegelt
in der Drehung

werde leicht
hör

den Dauerton

   

    

Lebenszeit

Geboren.
Von nun an gilt’s, die Lebensuhr,
sie tickt.
Kindheit, Jugend, Erwachsensein,
schier endlos die Zahl an Stunden, Tagen,
fluide Summation der Zeit.

Eines Tages,
jäh,
ist er da, der Gedanke an das Ende der Perlenschnur,
Lebenszeit, unabänderlich knappes Gut.
Suche nach Sinn, gegen Verzagtheit und
Verwirrung Wechsel der Perspektive.

Die Eintagsfliege, vierzig Minuten,
ein paar Stunden zwecks Vermehrung nach dem Schlupf,
und sie stirbt ab.
Das Rotkehlchen, sangesfreudig,
zwei bis drei Jahre, manchmal etwas mehr.
Dagegen der Grönlandwal, zweihundert, und
der Grönlandhai, vierhundert.
Aber erst der Riesenschwamm,
auf antarktischem Meeresboden wachsend,
zehntausend Jahre ein Exemplar,
oder turritopsis dohrnii, eine Qualle im Mittelmeer,
unsterblich, mittels Zellverjüngung.

Also – die Eintagsfliege möcht ich nicht sein,
das Leben so kurz, rein arterhaltend,
das Rotkehlchen, der fröhliche Sänger,
verlockend schon, aber mein Gesang und im Winter
ohne Ofen, ach, lieber nicht,
Hunderte von Jahren bei Wal und Hai,
zehntausend gar beim Schwamm,
als Kost freilich Meeresgefleuch,
Plankton und Bakterien,
oder quallig-unsterblich vor Italien, Mallorca,
doch allzeit im Wasser,
nicht an Mediterraniens Land.

Nichts davon
scheint mir meines Lebens wert,
sei es wie es sei.
Gern vorlieb nehm ich da mit dem,
was ich bin, will, kann,
was zu ertragen, zu ändern ich vermag.

Wenn das nun alles ist,
ja, ich hör,
warum dann das Gedicht?
Das Leben spendierte mir
die Zeit dafür.
Ich find, so wenig ist das nicht.

Friede

Urquhart Castle –
Geklirr der Waffen streitender Kämpfer,
Stampfen der Rosse, Schreie der Wut,
der Anstrengung und des Sterbens.

Spielball der Mächte – die Burg wie die Menschen dereinst.

Heute besänftigt das Idyll grün geschwungener Hügel,
verlassen zwar, doch frei von Unheil und Tod.
Gedenke des einen, einzigen Lebens,
das wir, das alle haben.

Ach, Friede – verliebe den Krieg in dich.

(Foto: Detlev Hoffmann)

Unweit des Meeres

Steine, Muschelsplitter,
unweit des Meeres.
Das Rauschen der Wellen, die salzige Brise.
Mariner Duft weht über sie hinweg.

Glasig starres Ensemble, geschliffen
im Abrieb der Zeit, Urgestein.
Stumm kündend von längst
versunkenen Welten.

Irgendwann ist‘s für den Menschen
so weit, vergänglich, wie er ist.
Was mag bleiben von der ihm gewährten
Spanne des Wimpernschlags?