Im Teich

Blätter im Teich.
Seerosen im Kreis.
Ein Bild der Harmonie,
mit Frosch,
getarnt, ungeküsst

Das will er bleiben,
wer weiß, wie es sich
als Prinz so lebt,
in erlauchten Zirkeln

Ach so fremd, so anders,
diese Ansprüche, denen
man genügen muss

Frosch im Teich,
darauf wird er lautstark beharren

mit den Rosen im Chor

Sprecher: Götz van Ooyen

Möve

Eine Sturmmöwe
hoch oben über uns,
Rabe des Meeres,
Pirat der Lüfte

Wagt sie die große Reise
über sturmgepeitschte See
nach Sansibar, Kap Hoorn,
Tahiti, Haifa, Finkenwerder Kutterhafen

Gelingt`s ihr loszulassen, der Sprung
ins kühne Abenteuer, Sieg über
Zweifel, Ängste, Widerstände,
und sei es ein einziges, einzigartiges Mal

Oder wählt sie das Los des Kulturfolgers,
die Brosamen zivilisierter Bequemlichkeit,
des hadernden, melancholischen Träumers –
wie bekannt einem dies doch ist

oder nicht?

Sprecher: Götz van Ooyen

Ronnie, das Karussellpferd

Na Ron,
ich seh’s in deinen Augen,
wie wär’s
mit einem kleinen Ausritt

Ansatzlos gestreckter Galopp furios,
entfesselt
fort, nur fort, weit
weit fort

Kein Blick zurück
auf die ringelstechende Haftanstalt,
Drehort grell maskierter Pein,
immerwährend kreiselnder Fron

Lauf. Lauf um dein Leben.
Stürme die Freiheit

Sprecher: Götz van Ooyen

Siesta noruega

Nur mal sitzen,
sitzen
und rein gar nichts tun,
die Obhut, das Haus,
die Mauer, blumengespickt,
im Rücken

Vor unseren Augen
die Landstraße, die für Abwechslung sorgt,
langweilig soll es ja nicht sein, nein nein:
jede Stunde etwa zieht jemand vorüber, 
zu Fuß – das gibt’s, mit dem Rad, auf dem Pferd,
auf einem Drachen, einer Maus, einem flatternden Papagei

Jetzt ist es aber gut,
man wird ja noch ganz trollig

(Foto: Detlev Hoffmann)

Sprecher: Götz van Ooyen

Das Faultier

Da häng ich
geruhsam an Lianen und an Zweigen.
Schau
dem Fortschritt des Mooswuchses zu

Niemals, wirklich niemals
würde ich den Schnecken unter mir
nacheifern,
die gelegentlich vorbeieilen, ja hetzen

Wo wollen sie nur hin ohne Rast und Ruh?

Haben sie noch nie von der Endlosigkeit
des Augenblicks gehört –

von der kontemplativen Frucht
der Langsamkeit

Ach, sei’s genug

Wahrlich,
hab viel gedacht, gar nachgedacht

Adieu –

mein Blick verträumt, schläft ein
im grünen Schleier des Geästs

Gute Nacht!

(Foto: Detlev Hoffmann)

Sprecher: Götz van Ooyen


Vogelbeere, Herbst I

Gürmsch, Gürgetsch, Wiismehlbomm,
fremde Laute stolpern über die Zunge,
klingen nach in den alten Namen der Vogelbeere

Kleiber, Gimpel, auch die Mönchsgrasmücke,
kümmert‘s nicht, ihr Begehr, winz’gen Äpfeln gleich,
lädt rotbackig zum Verzehr

Vogelbeere, Herbst II

Hunger gestillt, der Strauch tritt zurück,
fügt sich ins bunte Gehölz,
den lichten Hain

Ein kurzes Innehalten, Lauern,
steil katapultiert
vom Wipfel in die Höhe

Vogelbeere, Herbst III

Flieg – flieg über das Wasser hin,
Wolken unter, Wolken über dir

hinauf – hinauf ins Spiegelblau,
klar und kühl, ins Farbenmeer tauchend

Ein letztes Mal.
Es ist Herbst,
man ahnt den Winter

Sprecher: Götz van Ooyen

Eulenflug

Der Hügelkamm
darauf das Pferd
darüber die Wolke

Verharren
in der Atempause
zwischen Tag und Nacht

Tiefersehen im Eulenflug

Einssein
im Schattenriss
vor verdunkelnder Helle

(Foto: Christine Dittner)

Sprecher: Götz van Ooyen

Lebenszeit

Geboren.
Von nun an gilt’s, die Lebensuhr,
sie tickt.
Kindheit, Jugend, Erwachsensein,
schier endlos die Zahl an Stunden, Tagen,
fluide Summation der Zeit.

Eines Tages,
jäh,
ist er da, der Gedanke an das Ende der Perlenschnur,
Lebenszeit, unabänderlich knappes Gut.
Suche nach Sinn, gegen Verzagtheit und
Verwirrung Wechsel der Perspektive.

Die Eintagsfliege, vierzig Minuten,
ein paar Stunden zwecks Vermehrung nach dem Schlupf,
und sie stirbt ab.
Das Rotkehlchen, sangesfreudig,
zwei bis drei Jahre, manchmal etwas mehr.
Dagegen der Grönlandwal, zweihundert, und
der Grönlandhai, vierhundert.
Aber erst der Riesenschwamm,
auf antarktischem Meeresboden wachsend,
zehntausend Jahre ein Exemplar,
oder turritopsis dohrnii, eine Qualle im Mittelmeer,
unsterblich, mittels Zellverjüngung.

Also – die Eintagsfliege möcht ich nicht sein,
das Leben so kurz, rein arterhaltend,
das Rotkehlchen, der fröhliche Sänger,
verlockend schon, aber mein Gesang und im Winter
ohne Ofen, ach, lieber nicht,
Hunderte von Jahren bei Wal und Hai,
zehntausend gar beim Schwamm,
als Kost freilich Meeresgefleuch,
Plankton und Bakterien,
oder quallig-unsterblich vor Italien, Mallorca,
doch allzeit im Wasser,
nicht an Mediterraniens Land.

Nichts davon
scheint mir meines Lebens wert,
sei es wie es sei.
Gern vorlieb nehm ich da mit dem,
was ich bin, will, kann,
was zu ertragen, zu ändern ich vermag.

Wenn das nun alles ist,
ja, ich hör,
warum dann das Gedicht?
Das Leben spendierte mir
die Zeit dafür.
Ich find, so wenig ist das nicht.