Vogelbeere, Herbst I

Gürmsch, Gürgetsch, Wiismehlbomm –
fremde Laute klingen nach
in alten Namen der Vogelbeere.

Kleiber, Gimpel, auch die Mönchsgrasmücke,
kümmert‘s nicht –
ihr Begehr, winzigen Äpfeln gleich, leuchtet
rotbackig,
lädt vielzahlig zum Verzehr.

Vogelbeere, Herbst II

Ist der Hunger gestillt,
tritt der Strauch zurück,
fügt sich ins bunte Gehölz, den lichten Hain.

Ein kurzes Zögern, Sichern,
steil katapultiert
vom Wipfel in die Höhe.

Vogelbeere, Herbst III

Flieg –
flieg über das Wasser hin,
Wolken unter, Wolken über dir.
Hinauf ins Spiegelblau, das klar und kühl dich umgibt.

Ein letztes Mal.
Es ist Herbst –
man ahnt den Winter.

Stürme die Freiheit

Na Ron,
ich seh’s in deinen Augen,
wie wär’s
mit einem kleinen Ausritt

Ansatzlos gestreckter Galopp furios,
entfesselt
fort, nur fort, weit,
weit fort

Kein Blick zurück
auf die ringelstechende Haftanstalt,
Drehort grell maskierter Pein,
immerwährend kreiselnder Fron

Lauf. Lauf um dein Leben –
Stürme die Freiheit

Lebenszeit

Geboren.
Von nun an gilt’s, die Lebensuhr,
sie tickt.
Kindheit, Jugend, Erwachsensein,
schier endlos die Zahl an Stunden, Tagen,
fluide Summation der Zeit.

Eines Tages,
jäh,
ist er da, der Gedanke an das Ende der Perlenschnur,
Lebenszeit, unabänderlich knappes Gut.
Suche nach Sinn, gegen Verzagtheit und
Verwirrung Wechsel der Perspektive.

Die Eintagsfliege, vierzig Minuten,
ein paar Stunden zwecks Vermehrung nach dem Schlupf,
und sie stirbt ab.
Das Rotkehlchen, sangesfreudig,
zwei bis drei Jahre, manchmal etwas mehr.
Dagegen der Grönlandwal, zweihundert, und
der Grönlandhai, vierhundert.
Aber erst der Riesenschwamm,
auf antarktischem Meeresboden wachsend,
zehntausend Jahre ein Exemplar,
oder turritopsis dohrnii, eine Qualle im Mittelmeer,
unsterblich, mittels Zellverjüngung.

Also – die Eintagsfliege möcht ich nicht sein,
das Leben so kurz, rein arterhaltend,
das Rotkehlchen, der fröhliche Sänger,
verlockend schon, aber mein Gesang und im Winter
ohne Ofen, ach, lieber nicht,
Hunderte von Jahren bei Wal und Hai,
zehntausend gar beim Schwamm,
als Kost freilich Meeresgefleuch,
Plankton und Bakterien,
oder quallig-unsterblich vor Italien, Mallorca,
doch allzeit im Wasser,
nicht an Mediterraniens Land.

Nichts davon
scheint mir meines Lebens wert,
sei es wie es sei.
Gern vorlieb nehm ich da mit dem,
was ich bin, will, kann,
was zu ertragen, zu ändern ich vermag.

Wenn das nun alles ist,
ja, ich hör,
warum dann das Gedicht?
Das Leben spendierte mir
die Zeit dafür.
Ich find, so wenig ist das nicht.

Im Teich

Blätter im Teich.
Seerosen im Kreis.

Ein Bild der Harmonie.
Mit Frosch,
getarnt, ungeküsst.

Das will er bleiben.
Wer weiß, wie es sich
als Prinz so lebt,
in erlauchten Zirkeln.

Alles neu, alles anders.
Und diese Ansprüche, denen
man genügen muss.

Frosch im Teich.
Darauf wird er lautstark beharren.

Mit den Rosen im Chor.

Hügelkamm, Pferd und Wolke

Der Hügelkamm
das Pferd
und die Wolke

Verharren in der Atempause
zwischen Tag und Nacht
Tiefersehen im Eulenflug

Einssein
im Schattenriss
vor vergehender Helle

(Foto: Christine Dittner)

Möve

Sturmmöwe,
Rabe des Meeres,
Pirat der Lüfte

Wagt sie die große Reise
über sturmgepeitschte See
nach Sansibar, Kap Hoorn,
Tahiti, Haifa, Finkenwerder Kutterhafen

Gelingt`s ihr loszulassen, der Sprung
ins kühne Abenteuer, Sieg über
Zweifel, Ängste, Widerstände,
und sei es ein einziges, einzigartiges Mal

Oder wählt sie das Los des Kulturfolgers,
die Brosamen zivilisierter Bequemlichkeit,
des hadernden, melancholischen Träumers –
wie bekannt einem dies doch ist,
oder nicht?

Das Faultier

Da häng ich geruhsam an Lianen und Zweigen,
schau dem Fortschritt des Mooswuchses zu.
Niemals, wirklich niemals
würde ich den Schnecken unter mir nacheifern,
die gelegentlich vorbeieilen, ja hetzen.
Wo wollen sie nur hin ohne Rast und Ruh?
Haben sie noch nie von der Endlosigkeit des Augenblicks gehört,
von der kontemplativen Frucht der Langsamkeit.
Ach, nun reicht es auch hin.
Hab wahrlich genug gedacht, gar nachgedacht.
Adieu – mein Blick versinkt im grünen Schleier des Geästs.
Gute Nacht.

(Foto: Detlev Hoffmann)



Siesta noruega

Nur mal sitzen,
sitzen und rein gar nichts tun.
Die Obhut, das Haus, die Mauer, blumengespickt,
im Rücken

Vor unseren Augen
die Landstraße, die für Abwechslung sorgt –
langweilig soll es ja nicht sein, nein nein:
jede Stunde etwa zieht jemand vorüber, 
zu Fuß – das gibt’s, mit dem Rad, auf dem Pferd,
auf einem Drachen, einer Maus, einem flatternden Papagei

Nun ist es aber gut; man wird ja noch ganz trollig

(Foto: Detlev Hoffmann)