Zwischen ihm und mir

Wie unschuldig er ist
und jung

Fünfzig Jahre genau
liegen zwischen ihm und mir
und mehr als tausend Kilometer

Es ist die Erinnerung,
durch die er sich mir nähert
und ich mich ihm

Das war
ich, bin’s
nicht mehr

traurig –

was er wohl von mir hielte,
wenn ich sein
Großvater wär‘

Hoff‘ so sehr,
er tät mich mögen

Wohin

Rauf oder runter.
Hinauf, zum Licht,
hinab, ins Dunkel.

In die Höhe,
furchtlos, schwindelfrei.
In die Tiefe,
achtsam, erdverhaftet.
Sturzgefahr
in beiden Richtungen.

Der letzte Weg führt
abwärts nach oben,

außer sich.

Lebenszeit

Geboren.
Von nun an gilt’s, die Lebensuhr,
sie tickt.
Kindheit, Jugend, Erwachsensein,
schier endlos die Zahl an Stunden, Tagen,
fluide Summation der Zeit.

Eines Tages,
jäh,
ist er da, der Gedanke an das Ende der Perlenschnur,
Lebenszeit, unabänderlich knappes Gut.
Suche nach Sinn, gegen Verzagtheit und
Verwirrung Wechsel der Perspektive.

Die Eintagsfliege, vierzig Minuten,
ein paar Stunden zwecks Vermehrung nach dem Schlupf,
und sie stirbt ab.
Das Rotkehlchen, sangesfreudig,
zwei bis drei Jahre, manchmal etwas mehr.
Dagegen der Grönlandwal, zweihundert, und
der Grönlandhai, vierhundert.
Aber erst der Riesenschwamm,
auf antarktischem Meeresboden wachsend,
zehntausend Jahre ein Exemplar,
oder turritopsis dohrnii, eine Qualle im Mittelmeer,
unsterblich, mittels Zellverjüngung.

Also – die Eintagsfliege möcht ich nicht sein,
das Leben so kurz, rein arterhaltend,
das Rotkehlchen, der fröhliche Sänger,
verlockend schon, aber mein Gesang und im Winter
ohne Ofen, ach, lieber nicht,
Hunderte von Jahren bei Wal und Hai,
zehntausend gar beim Schwamm,
als Kost freilich Meeresgefleuch,
Plankton und Bakterien,
oder quallig-unsterblich vor Italien, Mallorca,
doch allzeit im Wasser,
nicht an Mediterraniens Land.

Nichts davon
scheint mir meines Lebens wert,
sei es wie es sei.
Gern vorlieb nehm ich da mit dem,
was ich bin, will, kann,
was zu ertragen, zu ändern ich vermag.

Wenn das nun alles ist,
ja, ich hör,
warum dann das Gedicht?
Das Leben spendierte mir
die Zeit dafür.
Ich find, so wenig ist das nicht.

Sally Joy

Fassade, Anstrich verblasst gealtert
Schürfstellen, Schrunden, wohin man schaut
Würdemale arbeitsreicher Vergangenheit.
Aus und vorbei, so könnt‘ es scheinen

Sally Joy, altes Mädchen,
wenn nur dein Name nicht wär:
Sally, Aufbruch, Joy, die Freude, Lust
am Stechen in See.
Bug in die Gischt, flatternde Wimpel voraus

Heut noch aufgebockt, vertäut
doch für den Hafen nicht gemacht
morgen wieder im geliebten Element.
Tage, Nächte im Auf und Ab,
Hin und Her von Wogen, Böen, Fangnetzgestrüpp

Ewig könnt’s so weitergehen,
solang die Erde sich dreht

Letzte Station

So stehen sie da,
der Gepäckkarren ihre Bleibe
gepackt, gestapelt,
Koffer voller Leben, alles
gesehen, erlitten, erfahren

Rings umher Reisende,
angespannt, Gewirr an
Stimmen, wechselnder Züge,
Ankunft Abfahrt Zwischenstopp

Nachts, Stille, Gleise im Schimmer
der Lampen, Erinnerungen steigen
auf, Sehnsucht nach der Ferne,
die Ahnung, dass ausbleibt,
was doch kommen soll

So stehen sie da, die Gewissheit wächst,
letzte Station